Die Teilnehmerliste zu dieser Wanderung füllte sich zunächst nur langsam. Aber schließlich brachen wir am Sonntagmorgen bei vielversprechendem Wetter mit 10 Teilnehmern unserer Sektion und einer Teilnehmerin der Sektion Tübingen in Richtung Nordschwarzwald auf. Der Ausgangspunkt unserer naturkundlichen Wanderung war der Hundseckparkplatz des Bühltal-Liftes, wo uns bereits unser Guide, ein Nationalparkranger, erwartete. Er sollte uns in den nächsten Stunden durch ein besonders interessantes Gebiet des nördlichen Teils des Nationalparks, den Hohen Ochsenkopf, führen.
Was waren unsere Erwartungen an eine Wanderung durch den neu geschaffenen Nationalpark? Sicher hatte jeder von uns leicht unterschiedliche Vorstellungen vom Wesen eines Nationalparks. Man konnte ja in den Medien die kontroversen Ansichten und Erwartungen in der Gründungsphase des Nationalparks Schwarzwald verfolgen.
Bereits bevor wir uns in Bewegung setzten begann unser Ranger mit seinen Erklärungen, die er dann auf dem vorerst noch breiten Weg fortsetzte:
Der Nationalpark Schwarzwald zieht sich zwischen Baden-Baden und Freudenstadt auf dem Höhenrücken des Nordschwarzwaldes entlang. Herrliche Fernblicke in die Rheinebene bis nach Frankreich hinüber und über die Hügelketten des Schwarzwaldes verleihen ihm einen großartigen Charakter. Unserem Weg folgend erhielten wir dann von unserem Ranger eine Kurzeinführung in die Zonenstruktur des Parks; „Wir bewegen uns hier in der Kernzone. In der Kernzone greift der Mensch nicht ein, hier regiert die Natur. Nur Wege und Besuchseinrichtungen werden in dieser Zone gepflegt, ansonsten haben Tiere und Pflanzen Vorrang“.
Noch bevor wir auf einen schmalen, felsig-wurzeligen und teils verschlammten, bergauf zum Plateau des Hohen Ochsenkopfes führenden Urwaldpfad einschwenkten, schloss ein anderer Ranger mit Hund zu uns auf. Schnell erfuhren wir, dieser Ranger ist ein Wolfsfachmann und Wolfsliebhaber. So entstant schnell ein ungeplantes Wolfskolloquium, mit ungezählten Frage unsererseits und kompetenten Antworten eines erfahrenen Fachmanns. Wie verhalten sich Wölfe und warum? Bilden sie eine Gefahr für den überraschten Waldwanderer? Wie verhält man sich? Welche Probleme können beim Zusammentreffen mit dem Menschen auftreten? Extrem zusammengefasst nahmen wir mit: Wölfe ohne vorherigen Futterkontakt zu Menschen gehen diesen aus dem Weg und sind keine Gefahr, allerdings sind sie neugierig. Die Fluchtdistanzen sind bei Wölfen deutlich kleiner als beim Menschen! Unsere Wege trennten sich und nachdenklich über das eben Erfahrene setzten wir unseren Aufstieg zum Hohen Ochsenkopf über den dicht umwucherten Wildnispfad fort.
Seit 1970 durfte sich der Wald hier rund um den Hohen Ochsenkopf unbeeinflusst von Menschenhand entwickeln. Borkenkäfer und Stürme formten wertvolle Lebensräume für verschiedene Arten. Wir durchwanderten eine Atmosphäre entstehender Wildnis. Dem Blick eröffnete sich eine völlig andere Welt, die der Moose, Farne und Gräser. Moose und Flechten bilden einen ganz eigenen Lebensraum, der kleinsten Lebewesen ein Zuhause gibt.
Unser Ranger demonstrierte uns eindrücklich wie Altholz ein Ort voller Leben ist und nicht etwa ein Ort des Todes. So sind tote Bäume ein wichtiges Element im immerwährenden Kreislauf von Werden und Vergehen. Er hielt uns an, auf den stimmenreichen Vogelgesang zu achten und die Melodien mit ihren Feinstrukturen wahrzunehmen. Manche Vogelstimmen waren für die Älteren unter uns zugleich ein Hörtest. Wer hört die zarten, oft sehr hochfrequenten Melodien noch? Nicht alle konnten das von sich berichten. Aber bei aller Naturromantik, bei diesen Vogelkonzerten geht es den Vögeln nicht um Freude am Musizieren sondern um Revieransprüche und Familiengründung, also um sehr handfeste Lebensfragen.
Immer wieder lagen mächtige Stämme, meist zugleich mehrere, quer über unseren schmalen Pfad. Zufall oder nicht? Bei aller Natur ist das ein Eingriff von Menschenhand, um die hier gar nicht gern gesehenen Mountainbiker fernzuhalten. Urwüchsige, ja märchenhafte Baumgestalten begleiteten unseren Weg durch den Bannwald, schiefe und krumme Baumriesen. Für solche Bäume ist in den normalen, auf Ergebnis und Gewinn ausgerichteten Wirtschaftswäldern kein Platz.
Im zweiten Teil unserer Wanderung gab es immer wieder schöne Ausblicke auf die Landschaft des Nordschwarzwaldes. Die Hornisgrinde war dabei dominierend, uns am nächsten und mit 1164m der höchste Gipfel der Gegend. Dort, an der Hornisgrinde, gibt es auch das höchste Hochmoor der Region.
Aufgeladen mit neuem Wissen und Eindrücken erreichten wir nach 5 ½ Stunden wieder unseren Ausgangspunkt, immer noch bei Sonnenschein, obwohl für den mittleren Nachmittag und dieses Gebiet Gewitter und starke Niederschläge vorhergesagt waren. In der Talstation des Bühltalliftes genossen wir zum Ausklang einen guten Kaffee. Mancher war dabei in Gedanken noch tief im Urwald, vor Augen die so vielfältigen Eindrücke des Tages. Was wir in diesen wenigen Stunden sahen und erfahren haben ist für den allergrößten Teil (etwa 70 %) des Nationalparks ferne Zukunft. Es wird bis zu 50 Jahre dauern bis sich diese Bereiche zu dem entwickeln, was wir bei dieser Wanderung sehen konnten. Damit sich das so vollziehen kann brauchen wir dauerhaft Mut zu Natur, Nachhaltigkeit und Stabilität in (Mittel-) Europa.
Peter Drescher