Susi’s Bericht vom Kletterbetreuer-Lehrgang
Es ist Sonntag, der 21. Juli 2019. Der Wecker klingelt, geschlafen habe ich wenig. Schon die letzten Wochen war ich zu nervös und habe mich mit der Frage gequält, ob mein Training erfolgreich war. All die Schmerzen von aufgeschundenen Händen, angeschlagenen Beinen und Ellbogen, Muskelkater im Rücken – hat sich all das gelohnt? Ok, erstmal eine kalte Dusche und einen Kaffee zum Aufwachen, dann nochmal checken, ob ich auch nichts vergessen habe. Kurz nach 10 Uhr muß ich auf der Autobahn sein. Der nette Herr an der Tankstelle wundert sich noch, daß ich entgegen der Gewohnheit am Sonntagmorgen aufkreuze und wünscht mir einen schönen Sonntag. Wenn der wüßte… Die Fahrt zieht sich und der Schlafentzug der letzten Wochen und Monate macht sich bemerkbar. Ein Kaffee… besser ein Café-Frappé wäre jetzt passend, denn es ist heiß. Doch wann immer ich ein gelb leuchtendes M sehe, ist es schon zu spät – ich verpasse jede Ausfahrt zu meinem Lieblingskaffee – ein trauriges Desaster.
Hier eine Baustelle, da ein Unfall, dort eine Navigation, die die letzte Sperrung noch nicht kennt, dennoch, ich komme nach über 6,5 Stunden müde und leicht gestresst, aber pünktlich im Griffreich an.
Empfangen werde ich von einem blonden Lächeln, das mir sofort einen starken Kaffee macht, nicht kalt, aber stark – meine Rettung…
Schlag auf Schlag füllt sich der helle und moderne Schulungsraum in der oberen Etage mit mehr oder wenigen ebenfalls müden, aber lächelnden Gesichtern. Eine bunte Truppe mischt sich zusammen – von unter 20 bis knapp über 60. Der Kurs ist ausgebucht, 12 Teilnehmer und 2 Trainer. Letztere sind ein illustres bayrisches Kombi aus erfahrenen Kletterern/Bergführern, oder wie ich sie liebevoll nenne: „eben echte Bergziegen“.
Die Vorstellungsrunde gestaltet sich noch etwas zögerlich, aber die Gruppe wird bereits am Montag ein tolles Miteinander haben. Wir sind allesamt unkomplizierte Kletterer, die auch gern zusätzlich anderen Sport treiben, bunt zusammengewürfelt und jeder erfreut sich an den Erfahrungen und Erlebnissen des Anderen und lernt dazu. Untergebracht sind wir in einem recht einfachen Hotel in Doppelzimmern ohne Schrank, ohne Platz, hohem Lautstärkepegel und Zimmerservice, der die gebrauchten Handtücher ohne Rücksicht auf Intimität einfach zusammenlegt und wie neu präsentiert.
Dennoch, ich habe eine nette junge Frau zugeteilt bekommen und wir arrangieren uns wie als wären wir eben campen.
Ich brauche bis Mittwoch, dann haben es meine Mitstreiter, die teilweise ebenso nervös angereist sind und die Trainer geschafft, mir die Versagensangst vor der praktischen Prüfung am Freitag zu nehmen. Die 17-19 Meter-Wände unseres schönen Roccadions sorgen dafür, daß mir auch bei Hitze bis über 40°C an den 15 Meter-Wänden des kleinen aber sehr feinen Griffreich’s nicht die „Körner“ ausgehen.
Die ein- oder andere Session in anderen Hallen hilft mir, mich schneller an die andere Schraubart zu gewöhnen. Und die guten Tipp’s und Trick’s netter Menschen in meinem Kletterumfeld haben bereits sichergestellt, daß mir Standardbewegung und Co. bereits etwas sagen und ich nicht wie ein blutiger Anfänger dastehe. Besonders erhebend ist dann das Gefühl bei der Video-Auswertung, als der Trainer mein „präzieses Fußsetzen“ und „lehrbuchreifes Entkoppel“, „Eindrehen“ etc. lobt. (Ja, in der Heimat stoße ich da eher auf Kritik, weil wohl von einigen erwartet wird, immer alles gleich und sofort in Perfektion zu können.)
Wir werden die Woche über argwöhnisch und genauestens beobachtet, doch sorgen für respektvolles Lob, denn Bestehens-Voraussetzung Nummer 1 ist das versierte Sicherungsverhalten. Wir haben ein so hohes Niveau in der Gruppe, daß unsere Trainer positiv überrascht sind. Was aber bedeutet es für mich persönlich? Ich kann ohne Bedenken mit jedem Einzelnen klettern ohne Bedenken – und das ist toll! Ich fühle mich wohl mit meinen Mitstreitern.
Donnerstag steht dann Bestehens-Voraussetzung Nummer 2 an – die Lehrprobe. Ich habe ein sehr umfangreiches Thema erwischt „Bodennahes Sichern im Vorstieg“. In 20-25 Minuten soll ich sämtliche Theorie verständlich vermitteln inkl. Lehrübungen und dabei dafür sorgen, daß die Sicherheit der Teilnehmer jederzeit gewährleistet ist. Nicht einfach, ein Thema, für das im Normalfall wesentlich mehr Zeit zur Verfügung steht, in so kurzer Zeit zu verarzten. Doch dann erinnere ich mich an eine meiner Freitags-Stunden mit den Stone-Geckos. Da hatte ich einen spontanen Spaß gemacht, der mich nun retten sollte. Im Vermitteln von Wissen ist das Benutzen von Metaphern immer eine gute Idee, da sich der Gegenüber so besser Zusammenhänge, Abläufe usw. merken kann. Nicht zuletzt kann man so auch ein trockenes Thema mit so viel Spaß oder gar ironischem Witz verbinden, daß sich der Lernstoff schnell und unlöschbar einprägt. So erkläre ich letzlich alles unter dem Motto „laßt uns gemeinsam tanzen“. Und das kommt nicht nur bei den Teilnehmern, sondern auch beim Trainer gut an. Puhhh, Challenge Nr. 2 ist also geschafft.
Dann bricht der letzte Tag an. Freitag. Inzwischen liegen stundenlange Theorie- und viele schweißtreibende Klettereinheiten hinter uns, die Erinnerung an nette lounchige Abende bei gemeinsamen Grillen, nahegehende Einzelgespräche, Sonnenaufgangsnebel an der Leine, Sonnenuntergangsstimmung am Maschsee…
Meine Mitstreiter verfallen wie ich doch wieder in eine gewisse Nervosität. Heute beeilen wir uns, sind zeitiger im Griffreich als die Tage zuvor. Gemeinsam klettern wir uns warm, wobei der Hitzepegel schon 9 Uhr morgens kaum mehr zu ertragen ist.
Dann geht es los – die letzte Einweisung in die praktische Prüfung - Bestehens-Voraussetzung Nummer 3. Die letzten aufmunternden Worte der Trainer klingen durch die Halle: „Macht Euch keine Sorgen! Nah dem, was wir die letzten Tage gesehen haben, schafft es jeder von Euch! Viel Erfolg!“
Dann, irgendwann bin ich dran, alle 2 Meter ist die Temperatur gefühlt 5 Grad wärmer. ‚Stell die Füße richtig, bleib ruhig, nur keine Hektik.‘ Mein Herz rast. Das Sauna-Feeling sorgt für zusätzliche Schweißausbrüche. Dann bin ich oben, ich klippe den Umlenker. „jippieeh“ die erste Route ist geschafft. Von unten erreichen mich Stimmen wie „Super, Susi! Toll gemacht!“, während ich das Lüftchen beim Ablassen genieße. Jeder freut sich mit jedem. Keiner schmiert ab. Jeder schafft seine Pflichtrouten im ersten Versuch. Die Stimmung der 14 Anwesenden ist MEGA und wir klettern noch weiter, jetzt freiwillig. Ich wage mich in meine erste 7- im Vorstieg, schaffe beim 3. Versuch die Schlüsselstelle und klippe final den Umlenker.
So geht eine erfolgreiche Woche zu Ende – für uns alle zwölf. Es folgt eine ausgedehnte kalte Dusche, viele Verabschiedungsumarmungen und Austausch guter Wünsche.
Dann trete ich den Heimweg an und nutze die Gelegenheit, unterwegs noch einen guten Freund zu einem italienischen Eis und Kaffee zu besuchen.
Nach Mitternacht ist es, als ich endlich mein Auto in der heimischen Garage abstelle. Ich bin k.o. aber glücklich wieder zu Hause gelandet.
Einmal ordentlich ausschlafen, dann geht es los… das Training und die Vorbereitung für den Trainer C…
P.S.: An Team Griffreich: Ihr wart Spitze – ich komme gern wieder!!!